Der stärkste Baby-Benz aller Zeiten mit SEC-Motorhaube
Angetrieben vom Motor des 450 SLC 5.0, eines von bestenfalls einer Handvoll Exemplaren, seit 1989 in Österreich zugelassen, originale 75.553 Kilometer.
Das rheinländische Neuss war die Heimat der Firma Schulz Tuning, die sich vorzugsweise mit dem Umbau von Mercedes-Benz Modellen beschäftigte. Anfang der 1980er war der neue, kleine W201, der Mercedes 190, der neue Star am Sternenhimmel und Schulz baute ihn nicht nur zum zweitürigen Cabriolet oder zum City-Hatchback um, nein, man hauchte ihm auch richtig Leistung ein, lange bevor AMG oder das Werk das taten. „Volle Kraft voraus“ betitelte die „auto, motor und sport“ einen ausführlichen Testbericht im Jahr 1984. Leider ist der zu lange, um ihn hier an dieser Stelle abzudrucken, er sei aber nachfolgend in den wesentlichen Punkten zusammengefasst.
Zu allererst waren auch die Tester angetan von den reinen Leistungsdaten. Die 240 PS sorgten für ein Leistungsgewicht von nur 5,5 kg/PS, was bisweilen den Mitbewerb aus der Nachbarschaft, abgesehen vom Turbo, durchwegs alt aussehen ließ, in Sachen Drehmoment sowieso. Nach nur 6,4 Sekunden waren mit einem 4-Gang-Schaltgetriebe die 100 km/h erreicht. Mit der Automatik dauerte die Übung zwar um zwei Zehntel länger, dafür hegten bei ihr die Tester keine Zweifel in Sachen Haltbarkeit. Schnellere Zeiten scheiterten schlichtweg an der Verbindung zwischen Gummi und Straße, weil sich erstgenannter dabei allzu gerne in Rauch auflöste. Die Geräuschkulisse reichte aufgrund der eigens entwickelten Abgasführung von sattem Brabbeln bis zum zornigen Brüllen.
Soweit also zu den Lichtblicken, den Schattenseiten schenkte man dann doch deutlich mehr Zeilen im Testbericht. Nicht nur an der Haltbarkeit des Schaltgetriebes zweifelte man laut, auch die des ganzes Autos wurde wenig charmant in Frage gestellt. Am Testwagen hatte eine Zylinderkopfdichtung aufgegeben, war der 300 km/h Tacho ausgefallen, der Auspuff undicht und die Antriebswellenmanschetten in kürzester Zeit durchgescheuert.
Man bemängelte die unbefriedigende Verarbeitungsqualität, obwohl sich Schulz bei den Umbauten an der Karosserie richtig viel Mühe gemacht hatte, den eingeschränkten Fahrkomfort des bisweilen überforderten Fahrwerks und den hohen Verbrauch von knapp 20 Litern auf 100 km, obwohl man über den noch am ehesten hinwegsah. Richtig hart ins Gericht ging man mit der Tatsache, dass Schulz den Gabelträger am Vorderbau einfach abgesägt hatte um den großen Motor in den kleinen Mercedes zu verpflanzen, was Schlimmeres im Falle eines Unfalls befürchten ließ. Auch die Bremsen bekamen ihr Fett ab, entsprachen sie doch dem Standardrepartoire des 190 E. Sogar auf die innebelüfteten Scheiben, die Mercedes schon im Vierventiler verbaute, hatte man verzichtet.
Letztlich konnte auch der Blick auf die Preisliste nichts mehr am vernichtenden Urteil revidieren, im Gegenteil, bis zu DM 82.119 musste man in Neuss lassen, wollte man keine Extras auslassen. Ein „normaler“ 190 E kostete im Vergleich dazu damals nur DM 30.256.
Dieser 190 E 5.0 von Schulz kam im September 1988 aus Deutschland nach Tirol zu einem Hotelier in Sautens. Wie am Foto in der Einzelgenehmigung zu sehen ist, stand er damals schon im Gegensatz zum Testwagen, der mit BBS-Kreuzspeichen bereift war, auf sündteuren, originalen AMG-Fünfstern-Felgen.
2008 konnte der aktuelle Besitzer den außergewöhnlichen Mercedes als Scheidungsopfer im Waldviertel erstehen. Eine kleine Aufstellung zeugt von den Teilen und der Arbeitszeit, die anschließend investiert wurde. Acht Jahre später meldete er ihn wieder ab und stellte ihn weg. Das gut erhaltene karierte Stoff-Interieur, das wohl aus einem R129 stammt, und der aktuelle Kilometerstand am 300 km/h Tacho zeugen davon, dass wohl immer sorgsam mit dem ungestümen Baby-Benz umgegangen wurde, wenn er auch die Spuren der Zeit dann doch nicht gänzlich verstecken kann. So streikt nach den paar Jahren des Stehens aktuell die Benzinpumpe und ein Blick auf die Bremsscheiben offenbart, dass die gleich mit getauscht werden wollen.
Mit wenigen Handgriffen ist dieses einzigartige Relikt aus den Wilden 80ern bestimmt wieder flott zu kriegen, weil ja beim Umbau damals ausschließlich auf Mercedes-Teile zurückgegriffen wurde. Wie viele gebaut wurden, ist nicht bekannt, ob es in Österreich einen zweiten gibt, ist höchst fraglich. Und falls nicht, wird er bestimmt der einzige bleiben, denn einen solchen Umbau, macht keine Typisierungsstelle mehr mit.
Im Rückspiegel sieht man mit ausreichend Abstand die Dinge naturgemäß immer anders. So berechtigt die Kritik im Testbereicht von 1984 gewesen sein mag, heute ist sie genau das, was diesen Wolf im Schafspelz ausmacht. Er ist so wunderbar nicht perfekt und genau das macht seinen Reiz aus, das Wissen, dass es so etwas wie ihn nie mehr geben wird. Gegen ihn ist selbst ein EVO, egal, ob I oder II, schon Massenware. Und weder in Sachen Leistung noch Zylinderzahl kann er dem 5.0 von Schulz das Wasser reichen. Der ist und bleibt der stärkste 190 E aller Zeiten. Apropos man hat einen umgebauten 190 E 6.0 von AMG.
Was meint Ihr? Schreibt es unten in die Kommentare.
Schätzwert:
EUR 20.000,- bis EUR 30.000,-
USD 19.000 ,- bis USD 29.000 ,-
Hier geht es zur Auktion
FIN WDB20102410043672
Modell 190 E
Motornummer 102961 10 008279
Getriebe 716212 00 011251
Auftragsnummer 0 - 211 02183
Ort der Bestellung NDL - BADEN-BADEN
Innenausstattung STOFF - BLAU (052)
Lack 1 CLASSICWEIß (737U)
SA-Code Beschreibung
410 SCHIEBEDACH ELEKTRISCH
422 SERVOLENKUNG
451 DREHZAHLMESSER
466 ZENTRALVERRIEGELUNG
584 FENSTERHEBER ELEKTRISCH (FAHRER- UND FONDTÜREN)
Keine Kommentare
Kommentar veröffentlichen